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Der Reinhard Tramontana Lauf

Knapp 12 Kilometer durch Meidling, Schönbrunn, Hietzinger Hauptstraße und über Penzing und die Mariahilfer Straße zurück. Angenehme Lauftemperaturen, aber diesmal etwas später unterwegs und da sind schon viele Autos unterwegs und auf den Gehsteigen ist es auch oft ein Slalom laufen.

Der Satiriker und Kolumnist Reinhard Tramontana wäre heute 76 Jahre alt geworden, ist aber erst 57jährig im Jahr 2005 im Kaiserin Elisabeth Spital an inneren Blutungen verstorben.

Tramontana hat seit Kindheit an zwei Welten vereint: Die bildungsbürgerliche des Hietzinger Gymnasiums Fichtnergasse, für das er ein Theaterstück schrieb. Aber auch die Welt des kleinen Füchselhofkinos des Arbeiterbezirks Meidling, wo er in der Jugend die großen Hollywoodfilme sah.

Über das Füchselhofkino schrieb er einen Text:

Das Füchselhofkino war, wohlwollend gesagt, ein Loch. Es war wie die Gasse, die ihm seinen Namen gab, schmal, finster und pickert. Es besaß kein Foyer, es hatte ein Vorzimmer, dessen Länge das Vorführzimmer um etwa zwei Sitzreihen übertraf. Die Kasse stand anderthalb Meter hinter dem Eingang, so wie eine Passkontrolle: Es konnten unmöglich zwei Menschen auf einmal an ihr vorüber.
Viele Erwachsene wollten das auch gar nicht: Da ihnen Leute, die weit herumgekommen waren, von modischen Glitzerkobeln wie dem Apollo, dem Schwedenkino oder gar dem neuen Gartenbau vorgefaselt hatten, zog es die rüstigeren Murlinger [Meidlinger] nicht just magnetisch in die derb duftende Bude – zwar offerierte das Füchselhofkino, weil das Tapfere den Meidlingern innewohnt, täglich drei Vorstellungen (4, 6, 8 Uhr), doch Verliebte brauchten durchaus nicht die letzte Reihe zu wählen, um unbeobachtet zu sein.
Aber für junge Haudegen wie unsereins war das Lochhafte sensationell: Ein gütiges Geschick, das sich einen vergesslichen Kinobesitzer auserkoren hatte, bescherte uns viermal im Jahr Im Zeichen des Zorro.
Hier, angesichts der blitzenden Degenklinge Tyrone Powers, wurde unsere Freiheitsliebe gefestigt; hier, angedenk der schwarzen Augenmaske wurzelt auch unser Bekenntnis zur Demokratie; hier, geprägt vom listigen Charme des vermeintlichen Weichlings, fundamentierte sich unser sagenhafter Erfolg bei Frauen.
Auch abgesehen davon bot das Füchselhofkino reichen Gewinn: Kein noch so rares Abenteuer des Wildwest-Schreckens Al Fuzzy St. John entging uns, und wer etwas auf sich hielt, sah Fuzzy und der Kampf um die Silbermine wenigstens dreimal. Einer der letzten Filme, die ich dort gesehen habe, ehe das Kino von einem Modegeschäft geschluckt wurde, war Dr. Seltsam – und ich weiß mich mit allen Cineasten eins, dass Peter Sellers gegen Fuzzy glatt abstank.“
( https://www.kinthetop.at/forschung/kinthetop_texte_MeidlingerLichtspiele01.html )

Nachdem das Kino mit dem ersten Kinosterben 1964 zusperrte, kam ein Turek hinein, der auch heute noch drinnen ist.
Als Oscar Bronner im September 1970 das Nachrichtenmagazin „Profil“ gründete, war Reinhard Tramontana von Beginn an dabei.
Reinhard Tramontana schrieb seit 1975 jede Woche eine Kolumne mit dem Titel „Profan“. Dreißig Jahre war er jede Woche auf der vorletzten Seite des Nachrichtenmagazins mit entlarvenden Zeitanalysen präsent. In diesen dreißig Jahren war er vermutlich kaum krank. Oder er überspielte Depressionen oder Krankheiten mit anderem. Oder Alkohol.

Der Kolumnist ist noch stärker als der Tages- oder Wochenjournalist gefordert. Es wirkt nur von Außen so, dass er mehr Freiheiten hat, da er für den Inhalt seiner Seite alleinverantwortlich ist. Er kann nicht einfach zwei Monate in Urlaub fahren oder krank feiern. Ein Kolumnist ist immer da. Er fehlt nie. ( https://medienkritikwien.wordpress.com/2005/10/06/das-sterben-der-grossen-reinhard-tramontana-1948-2005/ )

Der Reinhard Tramontana Lauf:

 

 

 

 

 

Der Jacques Arndt – Lauf

Über den bekannten Schauspieler und Regisseur Jacques Arndt, der bis in die 1990er Jahre insgesamt 39 Filme gedreht hat, gibt es in Wien nichts zu finden. Obwohl weltbekannt, ist er hier in Vergessenheit geraten. Keine Gasse, Straße oder Park, der nach ihm benannt wurde. So, als sollte seine Vergangenheit geheim gehalten werden.

Sein größter Wunsch war es schon als Kind, im Burgtheater zu spielen. Dieser Wunsch erfüllte sich nur im Kindesalter. Als Kind in Wien war er zweimal die Woche mit seiner Mutter ins Burgtheater gegangen. Schon mit 15 wollte er Schauspieler werden. Die Mutter finanzierte ihm den Unterricht, er lernte an der Schule des Burgtheaters und wurde in dessen Ensemble berufen. Er sah „eine rosafarbene Welt“ vor sich, „es war die Welt, in der ich leben wollte“.

Am 11. März 1938 zerbricht diese Welt, Hitlers Truppen marschieren in Wien ein. Arndt weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Er interessiert sich nicht für Politik. Bei einer Nachmittagsvorstellung für Schüler ist der ganze Saal voller Jugendlicher in braunen Hemden. Das Burgtheater spielt Schillers Wallenstein und Arndt spricht auf der Bühne den Vers: „Freiheit ist bei der Macht allein / ich leb und sterb mit dem Wallenstein.“

Der Saal tobt plötzlich, die Braunhemden springen mit ihren Stiefeln auf die Sessel, rufen „Heil Hitler“ – Macht haben sie mit Deutschland und Wallenstein mit Hitler übersetzt. „Das habe ich nicht gewollt“, flüstert Arndt erschüttert, jedoch laut genug, dass es einer seiner Kollegen hört. Tage später fällt eine Horde SA-Männer mit Knüppeln in seiner Garderobe ein. Sie prügeln ihn die Treppe hinunter und werfen ihn aus dem Theater. Er kehrt nie zurück.

Zwei Monate später klingeln zwei Männer an seiner Tür. Sie unterbreiten ihm einen Fluchtplan. Wer diese Männer waren, hat Arndt nie erfahren. Er vermutet, es waren Doppelagenten, die sein Vater, der im 1. Weltkrieg k.u.k. Offizier war und starb, als er noch Kind war, kannte. Die Flucht nach Südamerika war sehr abenteuerlich.

Arndt möchte seine Mutter mitnehmen, sie sagen ihm, er solle sie später nachholen. Er wird sie nie wieder sehen. Kurz darauf verlässt er Wien, mit nur 9,50 Reichsmark in der Tasche, mehr darf er nicht bei sich tragen. Arndt passiert die einzig offene Grenze nach Deutschland, fährt mit Nahverkehrszügen bis Trier. Sie sagen ihm, an welchen Bahnhöfen er etwas zu essen bekommt und wo er sich waschen kann. „Wenn was passiert“, schärfen sie ihm ein, „hast du uns nie gesehen.“

In Trier schwimmt er durch die Mosel nach Luxemburg. Dort meldet er sich bei einer Kontaktadresse. Ende November 1938 bringen ihn seine Fluchthelfer um acht Uhr morgens zum Zug nach Marseille. Er sagte dass er keinen Pass hat. „Ne pas des questions, s’il vous plaît“, kriegt er zurück. Im Zug kommen Schaffner und Zöllner. Sie kontrollieren alle im Abteil – nur Arndt nicht. In Marseille wartet ein Mann auf dem Bahnsteig, der ihn zum Hafen bringt. Auf der Seitenwand des Frachters „Campana“ öffnet sich die Tür, ein Brett wird herübergeschoben, er ist gerettet.

23 lange Tage sitzt er mit Flüchtlingen aus Polen im Rumpf des Frachters, dann wird er zum ersten Mal an Deck geholt. Es weht ein warmer Wind, zu sehen ist ein Hafen. „Der Hafen von Santos“, sagt ein Matrose. „Wo ist Santos?“ – „Brasilien. In zwei Tagen gehst du in Montevideo an Land, das ist in Uruguay, ein gutes Land.“

Er wurde nach dem Krieg in Südamerika und den USA ein bekannter Schauspieler und Regisseur. Nach Wien kam er erstmals 1999. „Ich war Staatsgast“, sagt er mit ironischem Unterton. Doch in den acht Tagen des Besuchs hat Arndt kein einziges Mal gelächelt. Beim Empfang mit dem damaligen Bundeskanzler Victor Klima fragte ihn der Regierungschef: „Was ist Ihr erstes Empfinden, wieder in Wien zu sein?“ – „Mein erster Gedanke ist, warum Sie fast 60 Jahre gebraucht haben, mir diese Frage zu stellen.“

Arndt wollte auch in das Zuhause seiner Kindheit zurück. Eine große Fünf-Zimmer-Wohnung im dritten Bezirk, nicht weit vom Burgtheater.

Der neue Besitzer war sichtlich nervös. Der Kaufvertrag lag auf dem Tisch, er hatte die Wohnung von einer Tänzerin übernommen. Obwohl viele Jahre vergangen waren, kamen die Räume ihm noch vor wie früher.

Er hat nicht herausfinden können, wer die Wohnung geraubt hatte, nachdem sie seiner Familie weggenommen wurde. Eine von den vielen Fragen, die offen geblieben sind. Arndt hatte auch um Auskunft beim Roten Kreuz gebeten, was mit seiner Mutter passiert ist (Sie arbeitete beim Roten Kreuz). Die Antwort war nur zwei Zeilen lang: „Ihre Mutter wurde ein Opfer des Faschismus. Es lebe die Freiheit!“

Es gibt also rund um Jacques Arndt viele Fragen, die nie beantwortet wurden. (Quelle: https://taz.de/!636575/)

Der Jacques Arndt – Lauf