Über den bekannten Schauspieler und Regisseur Jacques Arndt, der bis in die 1990er Jahre insgesamt 39 Filme gedreht hat, gibt es in Wien nichts zu finden. Obwohl weltbekannt, ist er hier in Vergessenheit geraten. Keine Gasse, Straße oder Park, der nach ihm benannt wurde. So, als sollte seine Vergangenheit geheim gehalten werden.
Sein größter Wunsch war es schon als Kind, im Burgtheater zu spielen. Dieser Wunsch erfüllte sich nur im Kindesalter. Als Kind in Wien war er zweimal die Woche mit seiner Mutter ins Burgtheater gegangen. Schon mit 15 wollte er Schauspieler werden. Die Mutter finanzierte ihm den Unterricht, er lernte an der Schule des Burgtheaters und wurde in dessen Ensemble berufen. Er sah „eine rosafarbene Welt“ vor sich, „es war die Welt, in der ich leben wollte“.
Am 11. März 1938 zerbricht diese Welt, Hitlers Truppen marschieren in Wien ein. Arndt weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Er interessiert sich nicht für Politik. Bei einer Nachmittagsvorstellung für Schüler ist der ganze Saal voller Jugendlicher in braunen Hemden. Das Burgtheater spielt Schillers Wallenstein und Arndt spricht auf der Bühne den Vers: „Freiheit ist bei der Macht allein / ich leb und sterb mit dem Wallenstein.“
Der Saal tobt plötzlich, die Braunhemden springen mit ihren Stiefeln auf die Sessel, rufen „Heil Hitler“ – Macht haben sie mit Deutschland und Wallenstein mit Hitler übersetzt. „Das habe ich nicht gewollt“, flüstert Arndt erschüttert, jedoch laut genug, dass es einer seiner Kollegen hört. Tage später fällt eine Horde SA-Männer mit Knüppeln in seiner Garderobe ein. Sie prügeln ihn die Treppe hinunter und werfen ihn aus dem Theater. Er kehrt nie zurück.
Zwei Monate später klingeln zwei Männer an seiner Tür. Sie unterbreiten ihm einen Fluchtplan. Wer diese Männer waren, hat Arndt nie erfahren. Er vermutet, es waren Doppelagenten, die sein Vater, der im 1. Weltkrieg k.u.k. Offizier war und starb, als er noch Kind war, kannte. Die Flucht nach Südamerika war sehr abenteuerlich.
Arndt möchte seine Mutter mitnehmen, sie sagen ihm, er solle sie später nachholen. Er wird sie nie wieder sehen. Kurz darauf verlässt er Wien, mit nur 9,50 Reichsmark in der Tasche, mehr darf er nicht bei sich tragen. Arndt passiert die einzig offene Grenze nach Deutschland, fährt mit Nahverkehrszügen bis Trier. Sie sagen ihm, an welchen Bahnhöfen er etwas zu essen bekommt und wo er sich waschen kann. „Wenn was passiert“, schärfen sie ihm ein, „hast du uns nie gesehen.“
In Trier schwimmt er durch die Mosel nach Luxemburg. Dort meldet er sich bei einer Kontaktadresse. Ende November 1938 bringen ihn seine Fluchthelfer um acht Uhr morgens zum Zug nach Marseille. Er sagte dass er keinen Pass hat. „Ne pas des questions, s’il vous plaît“, kriegt er zurück. Im Zug kommen Schaffner und Zöllner. Sie kontrollieren alle im Abteil – nur Arndt nicht. In Marseille wartet ein Mann auf dem Bahnsteig, der ihn zum Hafen bringt. Auf der Seitenwand des Frachters „Campana“ öffnet sich die Tür, ein Brett wird herübergeschoben, er ist gerettet.
23 lange Tage sitzt er mit Flüchtlingen aus Polen im Rumpf des Frachters, dann wird er zum ersten Mal an Deck geholt. Es weht ein warmer Wind, zu sehen ist ein Hafen. „Der Hafen von Santos“, sagt ein Matrose. „Wo ist Santos?“ – „Brasilien. In zwei Tagen gehst du in Montevideo an Land, das ist in Uruguay, ein gutes Land.“
Er wurde nach dem Krieg in Südamerika und den USA ein bekannter Schauspieler und Regisseur. Nach Wien kam er erstmals 1999. „Ich war Staatsgast“, sagt er mit ironischem Unterton. Doch in den acht Tagen des Besuchs hat Arndt kein einziges Mal gelächelt. Beim Empfang mit dem damaligen Bundeskanzler Victor Klima fragte ihn der Regierungschef: „Was ist Ihr erstes Empfinden, wieder in Wien zu sein?“ – „Mein erster Gedanke ist, warum Sie fast 60 Jahre gebraucht haben, mir diese Frage zu stellen.“
Arndt wollte auch in das Zuhause seiner Kindheit zurück. Eine große Fünf-Zimmer-Wohnung im dritten Bezirk, nicht weit vom Burgtheater.
Der neue Besitzer war sichtlich nervös. Der Kaufvertrag lag auf dem Tisch, er hatte die Wohnung von einer Tänzerin übernommen. Obwohl viele Jahre vergangen waren, kamen die Räume ihm noch vor wie früher.
Er hat nicht herausfinden können, wer die Wohnung geraubt hatte, nachdem sie seiner Familie weggenommen wurde. Eine von den vielen Fragen, die offen geblieben sind. Arndt hatte auch um Auskunft beim Roten Kreuz gebeten, was mit seiner Mutter passiert ist (Sie arbeitete beim Roten Kreuz). Die Antwort war nur zwei Zeilen lang: „Ihre Mutter wurde ein Opfer des Faschismus. Es lebe die Freiheit!“
Es gibt also rund um Jacques Arndt viele Fragen, die nie beantwortet wurden. (Quelle: https://taz.de/!636575/)
Der Jacques Arndt – Lauf